Montag, 28. April 2014

Aufsichtsräte von DAX-Konzernen. Kernkompetenz: männlich

Was qualifiziert die Aufsichtsratsmitglieder der größten deutschen Unternehmen? Praxiserfahrung jedenfalls nicht. Stattdessen gilt ein anderes Auswahlkriterium.

Ein Gastbeitrag von Angela Hornberg

Die Quote macht alle nervös. Die Männer, sagen einige Frauen, weil die Kerle um Besitzstände fürchten, die sie zu Unrecht horten. Die Frauen, sagen einige Männer, weil die Weiber auf eine Karriere hoffen, zu der sie nicht das Zeug haben. Von 2016 an müssen laut den Plänen der großen Koalition ein Drittel der Aufsichtsräte weiblich sein.
Das soll allerdings nur für 110 - in Worten: einhundertzehn - voll mitbestimmungspflichtige und börsennotierte Unternehmen gelten. Das macht etwa 1500 Aufsichtsratsposten, 500 davon müssten fortan an Frauen gehen oder leer bleiben. Etwa 200 Frauen haben bisher einen Aufsichtsratsposten ergattert. Gesucht sind also nur noch 300 Damen, die das Zeug haben, große börsennotierte Unternehmen zu kontrollieren.
Viel Aufregung also um so gut wie nichts? Offenbar hat die Sache enorme Symbolkraft. Die Hysterie könnte kaum größer sein, wenn der Staat eine Quote festschriebe, dass in einer Fußballmannschaft mindestens 20 Prozent Schwule mitspielen müssten. Das mag heute schon Realität sein, nur merkt das wenigstens niemand. Aber Frauen in Aufsichtsräten? Wo kämen wir denn da hin?
Er ist ein Mann. Männer können das
Dabei hat sich bislang niemand für Aufsichtsräte interessiert. Wer weiß schon, was für eine Truppe die Big Player der Wirtschaft beaufsichtigt? Klar ist nur, dass selbstberufene Experten medial solche Sätze zu Protokoll geben: "Wer in einem Dax-Unternehmen für die Kapitalseite in den Aufsichtsrat will, muss zumindest schon mal Vorstand in einem Konzern oder Vorstandschef in einer Mdax-Gesellschaft gewesen sein."
Genau. In deutschen Aufsichtsräten sitzen nämlich ausschließlich gestandene Manager! So richtige hemdsärmelige Kerle, Machertypen, hartgesottene mit allen Wassern gewaschene Jungs. Die ihren Vorstandsboys streng auf die Finger gucken, damit die unsere milliardenschweren Industrieschiffe sicher durch die globalen Weltmeere steuern.
So einer wie der ehemalige FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der ein Aufsichtsratsmandat bei der Deutschen Bahn innehat. Was ihn dazu befähigt, hat bislang niemand gefragt. Er ist ein Mann. Männer können das.
Deswegen kann auch ein Friedrich Merz Aufsichtsrat. Der war nach seinem Jurastudium 23 Jahre lang erst im Europäischen Parlament, dann im Bundestag. Da hat er Praxiserfahrung in der Wirtschaft gesammelt ohne Ende. Der hat schon deutlich Schwierigeres gelenkt als nur das eigene Auto, zum Beispiel den Schlitten seiner Kinder und den Einkaufwagen im Supermarkt. Der ist zu Großem fähig, deswegen sitzt er nicht nur im Aufsichtsrat der Deutschen Börse, sondern auch in dem des AxaKonzerns, von Borussia Dortmund und von HSBC Trinkaus & Burkhardt. Bei der Wepa-Industrieholding ist er sogar Vorsitzender des Aufsichtsrats. Deren Kerngeschäft - Toilettenpapier - beherrscht er, ohne hinzugucken.
Praxiserfahrung ist unwichtig
Ein ganzer Haufen ehemaliger Politiker hat sich im Aufsichtsrat der RWE versammelt: der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Ullrich Sierau, der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, Frithjof Kühn, der ehemalige Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Roger Graef, und, man höre und staune, der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Politik und Energie ist bekanntlich dasselbe.
Und weiter geht's. Wenn man mit dem Kompetenzkamm durchs haarige Geflecht der Dax-Aufsichtsräte streicht, fällt so manche Schuppe von den Augen: Bei Heidelberg-Cement sitzt im Aufsichtsrat ein Sozialpädagoge, der ein Projekt für straffällige Jugendliche leitet. Nein, kein Betriebsrat-Fuzzi, Anteilseigner-Ticket! Tobias Merckle heißt der Mann und agiert dort zusammen mit seinem Bruder Ludwig. Nach dem Suizid des Vaters, Unternehmer Adolf Merckle, rettet der eine die Welt und der andere das Erbe. Das sind Fähigkeiten, die im Aufsichtsrat des größten deutschen Baustoffkonzerns von enormer Wichtigkeit sind. Das kann eine Frau gar nicht mitbringen. Woher denn?
Bei der SAP sitzt schon seit 1988 der Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Wilhelm Haarmann; bei Adidas der Schwimmweltmeister Alexander Popow, der außer ein paar Goldmedaillen noch Kenntnisse aus seinem Studium an der Sportakademie mitbringt. Den BASF-Vorstand kontrolliert ein Chemiker vom Laboratorium für Organische Chemie der ETH Zürich namens François Diederich, der unglaublich viel von der Erstsynthese von Kekulen, also speziellen polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, versteht - im Aufsichtsrat von unschätzbarem Wert!
Nicht gleich nervös werden
Henkel wird kontrolliert von dem Astrophysiker Kaspar von Braun, dem Banker Ferdinand Groos sowie den Vermögensverwaltern Boris Canessa und Theo Siegert. Bei deren Prüfung der Vorstandsberichte über die Geschäftsentwicklung von Tapetenkleister, Shampoo und Deoroller würde man gern Mäuschen spielen.
Noch ein Beispiel für die unverzichtbare männliche Kompetenz in deutschen Aufsichtsräten? Na, einen haben wir noch: BMW ist ein Musterbeispiel deutscher Ingenieurskunst, kombiniert mit höchster Managementexpertise. Und wer sitzt im Aufsichtsrat dieses Weltkonzerns, dessen Produkte den Ruhm der Wirtschaftsnation Deutschland in die Welt fahren?
Reinhard F. Hüttl, ein deutscher Forst- und Bodenwissenschaftler, Stefan Quandt, Sohn, und Susanne Klatten, Tochter (ups, eine Frau, kann die das?), sowie - Achtung! - als Aufsichtsratsvorsitzender Joachim Milberg, ein gestandener Wissenschaftler, promoviert und habilitiert, der im zarten Alter von fünfzig Jahren von der Technischen Uni zu BMW wechselte, und zwar - na klar, der Mann ist ein Mann! - direkt in den Vorstand, wo er sechs Jahre später sogar zum Vorstandsvorsitzenden aufstieg. Insgesamt neun Jahre Praxiserfahrung, das reicht für einen seines Geschlechts. Klar, dass so einer in verschiedenen Aufsichtsräten mitmischt: bei Festo, bei Bertelsmann, bei John Deere und SAP, bei ZF Friedrichshafen und der Allianz, bei der Leipziger Messe, bei MAN und bei Shell.
Und solche Kerle sollen jetzt ausscheiden, nur damit mehr Frauen in Aufsichtsräten Platz nehmen können? Vielleicht eine von den 438 Uni-Professorinnen für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Physik, Biologie, Chemie und Technik) oder irgendeine von den Tausenden hochqualifizierten Frauen, die in den vergangenen zwanzig Jahren an den internationalen Wirtschafts-Fakultäten und Managementschulen beste Abschlüsse und seither vielfältigste Karriere gemacht haben? Na ja, jetzt wollen wir mal nicht gleich nervös werden!
Zur Autorin
Angela Hornberg, 55, ist selbständige Personalberaterin. Vorher arbeitete sie zehn Jahre lang als Investmentbankerin. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Frankfurt hat sie Diversität in Aufsichtsräten untersucht.



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